Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz

Am Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 verfassungswidrig ist. Die Begründung des Gerichts stellt hohe Anforderungen an ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz. Die bisherigen Presseartikel zu dem Richterspruch werden der Bedeutung der Entscheidung nicht gerecht.

Zunächst klingt die Begründung für die Einschätzung des Klimaschutzgesetzes als Verfassungswidrig recht unscheinbar:

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.

Pressemittelung des Bundesvefassungsgerichts Nr. 31/2021 vom 29. April 2021

Erst wenn man die Pressemitteilung des BVerfG vollständig liest und die Hintergründe der Diskussion um CO2-Budgets, Grandfathering und negative Emissionen kennt, dann erschließt sich die volle Bedeutung des Karlsruher Urteils.

Bisherige Minderungsziele

Das Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 sieht als Minderungsziel der CO2-Freisetzungen 55% Emissionminderung im Jahre 2030 im Vergleich zum Jahr 2030 vor. 1990 hat Deutschland 1249 Mt (Megatonnen CO2) ausgestoßen.

Außerdem beabsichtigt Deutschland, im Jahr 2050 CO2-Neutralität zu erreichen. Daraus ergibt sich folgendes Diagramm:

Für die Klimaerwärmung relevant ist die Summe der CO2-Freisetzungen, in diesem Diagramm sind dies die Flächen unter der Emissionskurve. Die Historischen Emissionen können wir nicht mehr ändern, das Klimaschutzgesetz regelt die Emissionen bis 2030 und die Emissionen ab 2030 sind bislang noch nicht gesetzlich geregelt.

Die Emissionen nach dieser Planung summieren sich auf 12510 MtCO2. Das sind 5,6% des verbleibenden weltweiten Budgets von 220 GtCO2 um unter 1,5 °C Klimaerwärmung zu bleiben, obwohl die Einwohner Deutschlands nur 1,06 % der Weltbevölkerung darstellen.

Anforderungen der Verfassungsrichter

Die Forderungen der Verfassungsrichter an ein verfassungskonformes Klimaschutzgesetz gehen aber weit über die gesetzliche Regelung der Emissionsreduzierung der Reduktionen nach 2030 nach den heutigen Plänen hinaus:

Presseerklärung des BundesverfassungsgerichtsSchlussfolgerung
Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten „Paris-Ziel“ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.[…]Das Pariser Klimaabkommen wird als völkerrechtlich bindend und somit für die gesetzgebenden Organe Deutschlands relevant betrachtet. Deutschland muss seinen Beitrag leisten.
Grundrechte sind aber dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet ist.[…]Das Verfassungsgericht geht davon aus, dass mit dem derzeitigen Gesetz nach 2030 nur noch wenig verbleibenden Restbudget übrig bleibt.
Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, begründen eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit[…]Die Gefährdung junger Menschen und künftiger Generationen wird rechtlich als Gefährdung der künftigen Freiheit ausgestaltet.
Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.[…]Die Rechte zukünftiger (ungeborener) Generationen werden anerkannt.
Aus der spezifischen Angewiesenheit auf die internationale Staatengemeinschaft folgt vielmehr umgekehrt die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, eigene Maßnahmen zum Klimaschutz tatsächlich zu ergreifen und für andere Staaten keine Anreize zu setzen, das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen.[…]Deutschland muss aktiv werden, noch bevor andere Staaten gleichwertige Verpflichtungen übernommen haben.
Auf dieser Grundlage hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen auch für Deutschland ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget ermittelt, das mit dem Paris-Ziel vereinbar wäre.[…]Die besten verfügbaren Erkenntnisse unserer Wissenschaftler sind für die Beurteilung, ob ein Klimaschutzgesetz verfassungskonform ist, relevant.
Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, erlegt Art. 20a GG dem Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht auf. Danach müssen bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen berücksichtigt werden.[…]Gesicherte Warnungen vor Gefahren dürfen nicht ignoriert werden.
Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein[…]
Das verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten.
Das Leben muss sich jetzt ändern, um die Rechte zukünftiger Generationen zu schützen.

Der Sachverständigenrat

Die Urteilsbegründung verweist auf eine Berechnung des „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ (SRU):

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat für verschiedene Temperaturschwellen und verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten aufgrund eines qualitätssichernden Verfahrens unter Offenlegung der verbleibenden Unsicherheit konkrete globale CO2-Restbudgets benannt. Auf dieser Grundlage hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen auch für Deutschland ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget ermittelt, das mit dem Paris-Ziel vereinbar wäre. Aufgrund der hierin enthaltenen Ungewissheiten und Wertungen kann die ermittelte Budgetgröße zwar derzeit kein zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle bieten. Dem Gesetzgeber bleibt Entscheidungsspielraum. Diesen darf er jedoch nicht nach politischem Belieben ausfüllen.

Pressemittelung des Bundesvefassungsgerichts Nr. 31/2021 vom 29. April 2021

Diese Berechnung des Sachverständigenrats findet sich hier auf Seite 54:

https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.pdf;jsessionid=C344814B691E1A4C714496756E297B7C.1_cid284?__blob=publicationFile&v=27

Der Sachverständigenrat erläutert die Berechnungsgrundlage ausführlich und nachvollziehbar. Insbesondere erklärt er ausführlich, warum er sich gegen die Anwendung des von den Industriestaaten bevorzugten „Grandfathering“ entschieden hat: die Anwendung würde eine erhebliche Gefahr verursachen, dass das Pariser Klimaabkommen in der Umsetzung scheitern würde.

Das ermittelte Restbudget für Deutschland ab 2020 beträgt somit 6700 MtCO2. Das ist in etwa der Wert, der nach dem Klimaschutzgesetz von 2019 im Jahr 2030 erreicht werden würde. Die bisherigen Pläne überschreiten dieses Budget um 86%. Würde das Klimaschutzgesetz bis 2030 weiter gelten, dann müsste Deutschland 2031 schlagartig CO2-Neutral werden, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Es ist auch deswegen bemerkenswert, dass das Bundesverfassungsgericht auf genau diese Ausarbeitung verweist, weil die CDU/CSU Fraktion bei Veröffentlichung des Berichts eine beißende Presseerklärung veröffentlicht hat.

Die nachfolgende Grafik von Seite 56 des SRU-Berichts illustriert, wie viel früher Deutschland nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts CO2-Neutral werden muss:

Negative Emissionen

Der Gesetzgeber kann die Emissionen für die Zeit nach 2030 auch dadurch gestalten, dass er für die Zeit nach 2050 negative Emissionen vorsieht. Theoretisch ist es denkbar, dass in ferner Zukunft Weltweit durch verschiedene Möglichkeiten insgesamt mehr CO2 gebunden wird als neu freigesetzt wird. Allerdings sind die entsprechenden Möglichkeiten dazu recht umstritten, weil viele negative Auswirkungen befürchtet werden. Der Sachverständigenrat schreibt dazu in seinem Gutachten z.B. auf Seite 47:

Einbezug theoretischer künftiger CO2-Extraktionen aus der Atmosphäre (sog. negative Emissionen): Die Größe des ­globalen CO 2 -Budgets ist auch von Annahmen zur zukünf­tigen Rolle sogenannter negativer Emissionstechnolo­gien und -praktiken abhängig (PETERS 2018a). Die meisten Emissionsreduktionspfade zur Erreichung der Klima­ziele sehen sie in großem Umfang vor (s. Abschn. 2.3.3). Die meisten Optionen für negative Emissionen sind derzeit mit großen Unsicherheiten behaftet und bringen größten­ teils erhebliche Zielkonflikte, beispielsweise mit der Nahrungsmittelerzeugung sowie dem Natur- und Artenschutz mit sich, oder beinhalten erhebliche finanzielle oder ener­getische Kosten. Auch sind wirksame Verfahren noch nicht operationell verfügbar (FUSS et al. 2018). Aus diesen Gründen spielt die Anwendung von negativen Emissions­technologien zur Erweiterung des CO2 -Budgets im Folgenden nur eine ­geringe Rolle.

Sachverständigenrat für Umweltfragen: Umweltgutachten 2020

Auch andere Quellen legen nahe, dass das Konzept Negativer Emissionen eine „Luftbuchung“ wäre und den nachfolgenden Generationen unlösbare Probleme hinterlassen könnten.

Europäische Ziele

Die Verfassungsrichter haben in Ihrer Presseerklärung nicht die Möglichkeit betrachtet, Emissionszertifikate international zu handeln. Da andere Europäische Staaten je Bürger*in niedrigere CO2-Emissionen haben, reicht das vom Sachverständigenrat für die EU berechnete Rest-Budget bei linearem Abfall der Emissionen etwas bis 2045 statt bis 2038. Allerdings ist es klar, dass es diese Zertifikate nicht umsonst geben wird.

Deutschland und die EU haben sich lange gesträubt, ein Budget zu benennen und sich stattdessen auf ein Ausstiegsdatum 2050 festgelegt. Diese Sichtweise war in den 90er Jahren üblich, aber moderne klimawissenschaftliche Ansätze gehen vom Budget-Ansatz aus. Das Bundesverfassungsgericht hat nun in seiner Argumentation diesen Budget-Ansatz aufgegriffen.

Wenn Deutschland nach dieser Maßgabe ein angemessenes Restbudget für Deutsches definiert, dann können wir immer noch Emissionszertifikate von unseren Europäischen Partnerstaaten kaufen. Ungarn beispielsweise emittiert lt. Gapminder nur 68% der CO2-Emissionen je Person im Vergleich zu Deutschland und hätte damit eigentlich 1,58 mal mehr Zeit, CO2-Neutral zu werden. Wenn Ungarn nun Emissionsrechte an Deutschland verkauft, dann muss Ungarn dafür entsprechend schneller CO2-Neutralität erreichen.

Fazit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt den Gesetzgeber dazu, den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger erheblich zu beschleunigen, möglicherweise fast zu verdoppeln.

Die bisher verwendeten Ausreden zur Untätigkeit werden vom Verfassungsgericht als Verfassungswidrig betrachtet.

Das Gericht hat die Sichtweise der Fridays for Future im Wesentlichen bestätigt.

Wenn in der Bundespolitik kein Umdenken erfolgt, werden wir wahrscheinlich noch mehrere dysfunktionale „Klimaschutzgesetze“ sehen, die vom Bundesverfassungsgericht als nicht Verfassungsgemäß eingestuft werden, bevor Klimaschutz dann wirklich umgesetzt wird.

Siehe Auch

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