Geplantes Naturschutzgebiet „Bürstädter Wald“

Das Regierungspräsidium Darmstadt plant die Ausschreibung eines Naturschutzgebiets im Wald der Gemarkung Bürstadt. Im Moment läuft dazu ein Anhörungsverfahren des Regierungspräsidiums.

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt wird voraussichtlich am 8. Juni 2022 abschließend über den Entwurf einer offiziellen Stellungnahme der Stadt unter Dokumentnummer XIX/BA/0110 entscheiden. Die Stellungnahme wurde von einem Mitarbeiter der Stadt Bürstadt in Zusammenarbeit mit Hessen Forst und der Feuerwehr Bürstadt verfasst.

Während die Stellungnahme der Stadt die Ausweisung des Naturschutzgebiets ablehnt, begrüßen Naturschutzorientierte Gruppen wie der „Runde Tisch Natur“ die geplante Ausweisung. Ihre Meinung wird in der Stellungnahme der Stadt aber nicht berücksichtigt. Die Bürstädter Grünen

  • befürworten im Gegensatz zur geplanten offiziellen Stellungnahme der Stadt die Ausweisung des Naturschutzgebiets
  • gegebenenfalls nach Anpassung in Fragen des Feuerschutzes nach eingehender erneuter Betrachtung der Feuerschutz-Erfordernisse.
  • Lehnen Geocaching und Pilzsammeln im Naturschutzgebiet ab.
  • Befürworten den Bau von Unter- oder Überführungen für Wildtiere über/unter die 4-Spurige B47 im Norden des geplanten Naturschutzgebiets.

Es sei denn, es wird eine andere geeignetere Fläche als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Die Nationale Biodiversitätsstrategie

Aus Sicht Naturschutz-Fachkundiger Personen bedroht die weltweite Entwicklung der Biodiversität und Ökosystemleistungen das Wohlergehen der Menschheit. Das jüngste Gutachten des Ipbes (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, vergleichbar dem Weltklimarat IPCC beim Klimawandel) bewertet die Situation sehr ernst:

Die Natur und deren lebenswichtigen Beiträge für die Menschen, was die biologische Vielfalt sowie die Funktionen und Leistungen der Ökosysteme umfasst, verschlechtern sich weltweit.[…]

Die Geschwindigkeit der globalen Veränderungen der Natur in den letzten 50 Jahren ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit.[…]

Die Ziele für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur können nicht erreicht werden, wenn die derzeitigen Entwicklungen so weitergehen.[…]

Die Natur kann erhalten, wiederhergestellt und nachhaltig genutzt werden, während gleichzeitig andere globale gesellschaftliche Ziele erreicht werden können. Dies erfordert unmittelbare und abgestimmte Anstrengungen zur Förderung eines transformativen Wandels.

https://zenodo.org/record/5502690/files/IPBES-Bericht_DE_2020_PH10.pdf?download=1

Die Bundesregierung hat 2007 die Nationale Biodiversitätsstrategie für Deutschland beschlossen. Zu den Zielen dieser Strategie zählen:

„Bis zum Jahre 2020 kann sich die Natur auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln“ (Seite 40).

„natürliche Entwicklung auf zehn Prozent der Waldfläche der öffentlichen Hand bis 2020“ (Seite 45).

Nationale Biodiversitätsstrategie https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/nationale_strategie_biologische_vielfalt_2015_bf.pdf

Die Entscheidung, solche geschützte Naturflächen einzurichten, entspricht der Erkenntnis, dass Forstwirtschaftlich genutzte Flächen auch bei nachhaltiger Bewirtschaftung keine ungestörten Ökosysteme darstellen und daher manche Arten nicht nachhaltig schützen können. Um den dauerhaften Verlust dieser Arten zu vermeiden, sind daher einige nicht bewirtschaftete Flächen erforderlich.

Klage der EU-Kommission gegen Deutschland

Die Kommission hat heute beschlossen, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil das Land seine Verpflichtungen im Rahmen der Habitat-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Richtlinie 92/43/EWG) nicht eingehalten hat.[…]

Schließlich geht die Kommission davon aus, dass es in allen Bundesländern und auf Bundesebene allgemeine und anhaltende Praxis war, für alle 4606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen.

Pressemitteilung der Europäischen Komission vom 18. Februar 2021

Das EU-Vertragsverletzungsverfahren 2014/­2262 ist noch nicht abgeschlossen.

Der Europäische Gerichtshof hat die Möglichkeit, Strafgeldzahlungen in Millionenhöhe anzuordnen. Dazu können Zwangsgelder in Höhe von 861.000 Euro kommen – pro Tag.

Weser Kurier vom 25.2.2021

Ausweisung der Kerngebiete im Lampertheimer Wald

Da Einkäufer auf dem Holzmarkt heute eine Zertifizierung der Holzproduktion nach nachhaltigen Kriterien erwarten, unterzieht sich Hessen Forst der Zertifizierung nach FSC (Forest Stewardship Council)-Kriterien. Zu den Kriterien der FSC gehört, dass ein teilnehmender Betrieb 10% seiner Waldflächen stilllegt. In diesem Zusammenhang hat das Forstamt Lampertheim die als „Kernflächen“ bezeichneten Gebiete festgelegt, in denen im Lampertheimer Forst keine Bewirtschaftung mehr stattfindet:

Kernflächen im Bürstädter Wald

Laut Erläuterungen des Mitarbeiters der Stadt Bürstadt in der Vorstellung der Stellungnahme im Ausschuss für Umwelt, Energie und Mobilität am 11.5.2022 wurde die Auswahl der Kernflächen nach wirtschaftlichen Kriterien vorgenommen. Es wurden nicht die Naturschutzfachlich wertvollsten Flächen stillgelegt, sondern die Flächen, die den niedrigsten wirtschaftlichen Ertrag erbrachten. Demnach weiß Hessen Forst bei einem Teil dieser Flächen nicht, wie man dort wirtschaftlich gewinnbringend Forstwirtschaft betreiben könnte.

Zu den Hauptproblemen gehören offenbar:

  • Eine hohe Belastung der Kernflächen mit dem Neophythen „Spätblühende Traubenkirsche„, der einheimische Gewächse zu verdrängen droht und sehr schwer zu bekämpfen ist.
  • Die Schädigung des Gebiets durch Grundwasserabsenkung und durch Klimawandel mit verursachte Dürre.
  • Schädigungen des Waldes treten am Waldrand tendenziell stärker auf als im Waldesinneren. Dies scheint unter Anderem folgende Ursachen zu haben:
    • Höhere Temperaturen am Waldrand, weil ein Hochwald in seinem Inneren ein kühleres Klima schafft.
    • Mehr Eintrag von NOx aus den Abgasen von Autos.
    • Stärkere Nutzung des Waldes durch Besucher.
    • Grundwasserstand am Wandrand möglicherweise durch Grundwassernutzung der Bauern zu Bewässerungszwecken stärker schwankend.

Dennoch enthält das Gebiet auch einige aus Naturschutzsicht wertvolle Bereiche. Beispielsweise gibt es ein Gebiet, in dem das Wasserwerk Worms das Spülwasser seiner Pumpen versickern lässt, und das daher relativ feucht ist. Der dortige Buchenwald ist nicht stark geschädigt und das Gebiet wird auch von Amphibien bewohnt:

Für Naturschutz engagierte Bürger der Region behaupten, dass Hessen Forst die Stilllegung der Kernflächen nicht konsequent beachtet.

Geocaching

Das Waldgebiet um Bürstadt wird intensiv für Geocaching genutzt. Aufgrund der Starken Nutzung hat das Forstamt Lampertheim eine Pilotprojekt Geocaching initiiert, um das Geocaching in geordnete Bahnen zu lenken. Das Pilotprojekt umfasst sowohl eine Festlegung, in welchen Gebieten des Forsts Geocaching grundsätzlich verboten ist, als auch eine Klarstellung der Genehmigungspflicht. Einige bestehende Caches wurden umverlagert.

Geocaching-Zulässige Bereiche bei Bürstadt (Grün)

Hierbei fällt auf, dass sich die Grünen Bereiche der Karte, in denen Geocaching nach Genehmigung zulässig ist, erheblich mit den stillgelegten „Kernzonen“ überschneiden. Aus diesem Grunde fordert das Forstamt im Entwurf der Stellungnahme der Stadt Bürstadt XIX/BA/0110:

Nr. 9: (Kein Verbot!) Geocaching sollte nicht verboten werden, solange es ein Betretungsrecht des gesamten Waldes nach HWaldG gibt. Das Gebiet ist Teil eines Pilotkonzepts des Forstamts Lampertheim mit der Geocaching community, das gerade dafür gesorgt hat, dass die zentralen Waldbereiche von Geocaches verschont werden und Waldrandbereiche beaufschlagt werden. Diese Lenkungsfunktion würde durch dieses Verbot aufgehoben. Eine fachliche Begründung für dieses Verbot ist nicht erkennbar.

Entwurf der Stellungnahme der Stadt Bürstadt

Das heißt, dass das Forstamt die Geocache-Nutzung gezielt auf die „Stillgelegten“ Kernbereiche gedrängt hat, um die „zentralen Waldbereiche“, die sich in einem wirtschaftlich besseren Zustand befinden, vor einer Belastung durch die Geo-Cache Nutzung zu schützen. Falls das Regierungspräsidium Darmstadt sich entscheiden sollte, das Naturschutzgebiet auszuweisen, würde bei dieser Vorgehensweise die Nutzung des Naturschutzgebiets für Geo-Caching zugelassen, aber die Benutzung nicht geschützter Waldgebiete für Geocaching durch das Forstamt untersagt, eine groteske Situation.

Hier wird argumentiert, dass das „Betretungsrecht“ des Waldes besteht, obwohl das Forstamt argumentiert, dass die Anlage eines neuen Geocaches sehr wohl genehmigungspflichtig sei:

Nach Aussage des Forstamts ist das Suchen von Geocaches durch das hess. Waldbetretungsgesetz gedeckt und ohne weitere Genehmigung zulässig. Das Ausbringen von Geocaches Bedarf allerdings einer Genehmigung durch den Eigentümer, also durch das Forstamt Lampertheim.

http://www.geocaching-pilotprojekt.de/

Prozessschutz

Konventionell wurden in der Vergangenheit Naturschutzgebiete zum Erhalt einer besonders schützenswerten natürlichen Umgebung eingerichtet. Nach diesem Paradigma muss ein Gebiet in einem guten naturnahen Zustand sein, bevor es sich zum Schutz als Naturschutzgebiet eignet. Ein Wesentlicher Grund hierfür ist, dass nach dem Schutz des Gebietes rechtlich kein Eingriff durch den Menschen mehr erfolgen kann. Diese Bedingungen sind im geplanten Naturschutzgebiet „Bürstädter Wald“ ganz sicher nicht gegeben, insbesondere wegen der Belastung mit der Spätblühenden Traubenkirsche.

Allerdings gibt es an diesem Ansatz in den letzten Jahren verschiedene Kritikpunkte. So besteht die Gefahr, auf diese Weise hochwertige Biotope herzustellen, die wie Inseln in einem Meer getrennte Fauna und Flora aufweisen, die nicht mehr miteinander verbunden sind und aufgrund dieser Trennung früher oder später aussterben. Aus diesem Grunde ist es wichtig, quantitativ mehr Naturschutzgebiete auszuweisen und diese möglichst miteinander zu vernetzen.

Eine mögliche Reaktion ist es, anstelle bestimmter „Schützenswerter Arten“ stattdessen komplette Ökösysteme zu schützen und sie ihrer natürlichen Entwicklung als „Wildnis“ zu überlassen. Diese Strategie ist langfristiger orientiert. Statt von einem intakten Ökosystem auszugehen, das sich danach nicht mehr verändern soll, wird davon ausgegangen, dass ein „Wildes“ Ökosystem nach einer Zusammenbruch- und Pionierphase von selbst in einen „Wilden“ Zustand findet, der Ökologisch Wertvoll ist. Diese Vorgehensweise wird „Prozessschutz“ genannt und ist eindeutig das Konzept des Regierungspräsidiums zum Naturschutzgebiet „Bürstädter Wald“. Der „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ (SRU) als wissenschaftliches Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung hat diese Strategie 2016 in einem Gutachten bewertet und befürwortet.

Der Prozessschutz, der bei Wildnisgebieten im Mittelpunkt steht, ist – wie dargestellt – nicht gezielt auf den Schutz einzelner Arten oder Lebensraumtypen ausgerichtet, sondern explizit durch ergebnisoffene Dynamik gekennzeichnet. In der Praxis ist es für manche Lebensraumtypen und Arten nicht möglich, die Schutzziele der FFH-Richtlinie sowie das Ziel Prozessschutz gleichzeitig zu erreichen (Europäische Kommission 2013b). Im Einzelfall können durch den Ablauf natürlicher Dynamiken lokal Lebensraumtypen und Arten des Offenlandes verloren gehen

SRU: Mehr Raum für Wildnis in Deutschland

Verbindung von Ökosystemen

Ein Solchermaßen geschütztes Ökosystem sollte einerseits möglichst groß und andererseits mit anderen Ökosystemen gut vernetzt sein. Während das Gutachten des SRU noch von einer Mindestgröße von 1000 Hektar ausging, ist das vom Regierungspräsidium geplante Naturschutzgebiet nur 470 Hektar groß, was wirtschaftliche Gründe haben dürfte.

Die Teilnehmer des „Grünen Tischs Natur“ in Bürstadt haben festgestellt, dass das geplante Naturschutzgebiet eine Wünschenswerte Verbindung der Lebensräume von Amphibien darstellt, sofern im nördlichen Bereich an der Bundesstrasse B47 eine Querung der Amphibien über die bald 4-Spurige Bundesstraße über geeignete Unter- oder Überführungen der Bundesstraße ermöglicht wird.

Es ist offensichtlich, dass ein Naturschutzgebiet mitten im Wald diese Funktion nicht so gut übernehmen könnte.

Spätblühende Traubenkirsche

Die weite Verbreitung des invasiven Neophyten Spätblühende Traubenkirsche in dem Gebiet führt bei vielen Naturschutzinteressierten zur Ablehnung dieses Gebiets als Naturschutzgebiet. Bei Erkundigungen bei unterschiedlichen Personen haben wir im Wesentlichen zwei Meinungen erfahren:

  • Manche gegen davon aus, dass die Spätblühende Traubenkirsche ohne Maßnahmen das Ökosystem dominieren wird und daraus kein natürlicher Ausweg vorstellbar ist.
  • Andere gehen davon aus, dass de Spätblühende Traubenkirsche eine Pionierpflanze von geringer Lebensdauer ist, die es nicht dauerhaft schafft, längerlebige Pflanzen vom Licht abzuschirmen uns so langfristig zurückgedrängt wird, wenn man ihr nicht durch zwieschneidige Bekämpfungsmaßnahmen immer wieder neues Licht verschafft.

In jedem Falle sieht der Entwurf zur Ausschreibung des Regierungspräsidiums die Möglichkeit vor, Neophyten wie die Spätblühende Traubenkirsche zu bekämpfen. Es ist naheliegend, dass dies sowohl mit Naturschutzfachlichem Bedacht erfolgen muss aus auch dass der Ökologische Wert des Naturschutzgebiets davon abhängig werden könnte, wie viel Geld hier investiert wird.

Feuerschutz

Ein wesentlicher Kritikpunkt der Stadtverwaltung Bürstadt am geplanten Naturschutzgebiet sind die Auswirkungen des Naturschutzgebiets auf den Brandschutz, insbesondere in Siedlungsnähe. Daher hat der Ausschuss für Umwelt, Energie und Mobilität auch um eine Stellungnahme der Bürstädter Feuerwehr zu diese Problematik gebeten.

Das Naturschutzgebiet beeinflusst den Brandschutz im Wesentlichen durch folgende Veränderungen:

  • Die verringerte Anzahl der Waldwege macht der Feuerwehr den Zugang zum Wald schwer.
  • Es wird im Naturschutzgebiet mehr Totholz liegen bleiben, was als „Treibstoff“ für einen Waldbrand wirken kann.
  • Durch weniger Waldwege sinkt die Wahrscheinlichkeit von durch Menschen verursachten Bränden ein wenig.
  • Ein Waldbrand im Naturschutzgebiet verursacht keinen Sachschaden in dem Sinne wie in einem Forst. Vielmehr gilt ein Brand als natürliches Ereignis. Aber es muss ein Übergreifen auf den Forst verhindert werden.

Leider beschreibt die Stellungnahme der Feuerwehr im Grunde nur den Ist-Zustand, wie Brandschutz im Bürstädter Wald erreicht wird. Nach dieser Stellungnahme könnte man nirgendwo in Deutschland ein Naturschutzgebiet ausweisen. Die Feuerwehr hat nicht ausgearbeitet, wie die Bürstädter Feuerwehr im Falle der Ausweisung eines Naturschutzgebiets reagieren könnte und müsste:

  • Eventuell braucht der Kreis Bergstrasse Löschflugzeuge und Hubschrauber?
  • Vielleicht müssen im Wald um das Naturschutzgebiet Grundwasser-Brunnen für die Feuerwehr gebohrt werden?
  • Vielleicht wäre eine Brandschutzschneise in Form einer Wiese zwischen dem Naturschutzgebiet und dem Forst sinnvoll?

Es wurde auch keine Priorität ausgearbeitet, welche Waldwege besonders wichtig sind oder ähnliches. Hierbei ist noch zu beachten, dass das geplante Naturschutzgebiet nicht so nah an die Siedlung „Boxheimer Hof“ heranreicht wie die „Kerngebiete“:

Das geplante Naturschutzgebiet weist eine Größe von 470 Hektar auf. Laut Aussage von Hessen Forst bei der Waldbegehung 2021 kostet die Anpflanzung von einem Hektar Wald unter den derzeitigen Bedingungen in den ersten Jahren ca. 40.000 €. Nach 100 Jahren Wachstum kann dann Holz für einen derzeitigen Marktpreis von 100.000 € geerntet werden. Für die Gesamtfläche von 470 Hektar entsprächen das 18 Millionen bzw. 45 Millionen €.

Hessen plant hier also eine bedeutende Investition in den Naturschutz, der mit entsprechenden Maßnahmen flankiert werden sollte, um den gewünschten Nutzen zu entfalten.

Stellungnahmen von Naturschützern

NABU Bürstadt

„Ich freue mich, dass mit dem neu geplanten Naturschutzgebiet Bürstädter Wald eine zusammenhängende Waldfläche mit dem Ziel eingerichtet wird, die unbeeinflusste natürliche Dynamik des Waldökosystems mit ihren Zusammenbruchs- und Pionierphasen und der dazu gehörigen Fauna und Flora zu sichern. Das heißt, dass dieses Gebiet aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen wird und die Natur sich hier entwickeln kann, nicht zuletzt, damit die dort heimischen Vogelarten dort dauerhaft Lebensraum finden“

Insgesamt sollten noch weitaus größere Bereiche aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen werden und für die heimische Tier- und Pflanzenwelt und zur schonenden Naherholung der Bevölkerung reserviert werden, urteilt Held. Mittelfristig wären da 15 Prozent sinnvoll, langfristig 20 Prozent. „Generell sollte von einer konventionellen Forstwirtschaft auf ein ganzheitliches Waldökosystem-Management umgestellt werden. Beispielsweise schadet der Einsatz schwerer Forstmaschinen im Waldesinneren dem Ökosystem, und alte Laubbäume (über 140 Jahre alt) sollten so lange nicht mehr geschlagen werden, bis sie mindestens zehn Prozent des Bestandes der Waldfläche ausmachen“, meint Michael Held.

Michael Held vom NABU Bürstadt Zitiert nach Bürstädter Zeitung vom 3. Mai 2022.

NABU Kreisverband Bergstraße

Der NABU Kreisverband Bergstrasse stellt die Frage nach dem richtig oder schlecht ausgesuchten Waldbiotop, auch die bisher von den Bürgern gewohnten Nutzungsmöglichkeiten sowie den Brandschutz als lösbar hintan und fordert stattdessen, eine Querungsmöglichkeit für Wild über die bald 4-Spurige B47 zu schaffen:

Wir vom NABU – Kreisverband Bergstraße stellen die Frage nach dem richtig oder schlecht ausgesuchten Waldbiotop, auch die bisher von den Bürgern gewohnten Nutzungsmöglichkeiten, sowie den Brandschutz als lösbar hintan:

Was uns wichtiger erscheint, ist, dass nach der beschriebenen Form und Lage des Gebiets dessen Eignung (bei dessen Bestimmung zu selbstgesteuerter natürlicher Sukzession des Waldes) auch zugleich als verbindender Korridor für jegliches Wild und nicht flugfähiges Kleingetier dienen kann.

Damit könnte ein schon zu lange währender Mangel beendet werden, der bald noch verstärkt wird durch den Ausbau der B 47 auf vier Fahrstreifen.

Diese trennt die Wildtierpopulationen des Waldgebietes südlich von der Umgehungsstrasse, wie auch die Wildtierpopulationen des südwestlich davon verlaufenden Senkengebietes ehemaliger Rheinmäander von denen des nordöstlich der Strasse angrenzenden Waldstücks und dem dahinter liegenden Senkenzugs des Riedroder Riedes bis zum Einhäuser Bruch hin.

So liegt der Gedanke nahe, mittels einer Wildbrücke Amphibien und andere getrennte Populationen über Umgehungsstrasse und Bahnlinie zu leiten.

Östlich des Haltepunktes Riedrode wandern auch hier seit vielen Jahrzehnten Amphibien (Kreuzkröte, Wechselkröte, Erdkröte, Wasserfrosch, Springfrosch, Grünfrosch) nach Sommerregen hin und her und werden meist überfahren, so wie Rehe und Wildschweine dort schon lange immer wieder dem Verkehr zum Opfer fallen.

Die Passage dieser Tiere findet definitiv ein Ende, wenn der 4-spurige Ausbau der B 47 mit einer die Fahrspuren mittig trennenden Betonplanke fertiggestellt sein wird (auf der gesamten Strecke Bürstadt-Bensheim).

Wir schlagen vor, die Notwendigkeit einer Wildbrücke oder Unterführung in den beschriebenen Zusammenhängen zu prüfen und zu bedenken, dass der Ausbau der B 47 die genannten Gebiete und deren Wildtierpopulationen endgültig trennen wird. Diese Massnahme ist hauptsächlich HessenMobil vorzuschlagen, wie es auch durch die NABU Ortsgruppe schon zum Verfahren des Ausbaues der B 47 geschehen ist.

Wir möchten das Land Hessen ausdrücklich auf den steigenden Wert einer Wildbrücke (oder Unterführung) im Zusammenhang mit einem sich natürlich entwickelnden Wald und dessen temporärer Fauna hinweisen.

Für eine solche Vernetzung bietet sich das NSG sehr gut an. Es hat darum unseren besonderen Zuspruch.

Stellungnahme NABU Kreisverbands Bergstraße

Bundesbürgerinitiative Waldschutz (BBIWS)

Sabine Hodges von BBIWS kam ebenfalls über die Bürstädter Zeitung (vom 10.5.2022) zu Wort und hat die Ausweisung des Naturschutzgebiets abgelehnt. Bei Nachfrage per E-Mail hat sie die geplante Stellungnahme der Stadt Bürstadt im Wesentlichen befürwortet. Ursache für diese Einschätzung ist, dass dieses Waldstück ökologisch so wertlos sei, dass es nicht lohne, es als Naturschutzgebiet auszuweisen. Außerdem würde sich Hessen Forst sowieso an keinerlei Auflagen halten.

Die BBIWS befürwortet die forstwirtschaftliche „Stillegung“ aller Waldgebiete der Oberrheinischen Tiefebene.

„In besonders sensiblen Waldbereichen, wie beispielsweise der Oberrheinischen Tiefebene, fordern wir eine völlige Einstellung der Holzproduktion.“

Waldwende-Jetzt

Weitere Regelungen

Einige Weitere Stellungenahmen der Stadt Bürstadt lehnen wir ebenfalls ab, obwohl sie eine geringere Bedeutung haben.

  • Das Sammeln von Pilzen in einem Naturschutzgebiet lehnen wir ab. In manchen Jahren ist die Zahl der Pilzsammler im Herbst so groß, dass diese die Entwicklung der Natur beeinträchtigen könnten.
  • Vogelnistkästen sollten vor der Einrichtung des Naturschutzgebiets auf Vordermann gebracht werden. Danach ist zu erwarten, dass sich im Laufe der Jahre ausreichend Brutmöglichkeiten im Altholz entwickeln.
  • Die Unterhaltung aller bisherigen Waldwege lehnen wir ab, weil sonst aus Gründen der Verkehrssicherung am Wegesrand mehr in die Ökosysteme eingegriffen werden müsste. Lediglich in unmittelbarer Siedlungsnähe wird eine höhere Dichte der Wege befürwortet.

Die Waldproblematik

Die Geschichte der nachhaltigen Forstnutzung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Während im Mittelalter Wälder übernutzt wurden und damit die Holzproduktion eingebrochen ist, wird seit ca. 350 Jahren in Europa Nachhaltige Forstwirtschaft betrieben, die Holzproduktion mit intakten Ökosystemen kombiniert. Ganz anders als in Ländern wie etwa Rumänien oder Brasilien, in denen Holz im Wesentlichen durch Kahlschlag gewonnen wird. Diese Leistung wird von der Mehrheit der Deutschen Bürgerinnen und Bürger auch gewürdigt.

Allerdings gibt es insbesondere in den letzten 40 Jahren zunehmende Kritik an der Deutschen Forstwirtschaft. Mittlerweile haben sich extrem verhärtete Frontlinien gebildet, die sich unerbittlich gegenüber stehen. Es ist schwierig, eine vernünftige Synthese dieser Positionen zu finden. Die auf beiden Seiten geäußerten Positionen sind tendenziell beleidigend.

Einerseits: Die Forstwirtschaft

Die Forstwirtschaft, zu der auch das Unternehmen Hessen Forst gehört, das im Besitz des Landes Hessen ist und Hessens Wälder bewirtschaftet, sieht ihre Aufgabe in der Nachhaltigen Bewirtschaftung unserer Wälder mit dem Ziel der Holzgewinnung:

Unsere Aufgaben sind im Hessischen Waldgesetz sowie in der Satzung für den Landesbetrieb definiert:
– die nachhaltige Pflege und Bewirtschaftung des hessischen Staatswaldes unter erwerbswirtschaftlicher und gemeinwohlorientierter Zielsetzung[…]

https://www.hessen-forst.de/aufgaben-ziele/

Die Umstrukturierung der hessischen Forstwirtschaft von einer Behörde in den erwerbswirtschaftlich orientierten Betrieb Hessen Forst seit dem 1.1.2002 wird von machen Ökologisch orientierten Beobachtern kritisch gesehen.

Die gravierenden Veränderungen im Wald in den letzten Jahren haben die Förster überrascht. Bei der Waldbegehung mit den Bürstädter Grünen 2021 haben die Förster erläutert wie sie durch Neupflanzungen von Mischwald (Statt Monokulturen) hoffen, eine nachhaltige Forstentwicklung zu ermöglichen. Die Veränderungen sind auch für die Förster überraschen und durch den Klimawandel kann keine Sicherheit bestehen, dass heute neu angepflanzte Gebiete auch bis zur Erntereife in 100 Jahren durchhalten werden.

Die Förster von Hessen Forst argumentieren wesentlich so, dass nachhaltige Forstwirstschaft in Deutschland Holz wesentlich umweltschonender gewinnt als der Einkauf von Holz aus Raubbau in anderen Regionen der Welt. Holz ist ein wertvoller Rohstoff für unsere Gesellschaft.

Die Forstwirtschaft steht daher ökologischen Forderungen der Entwicklung von Wildnisgebieten kritisch gegenüber. Die Förster gehen davon aus, dass ihre Form der nachhaltigen Holzbewirtschaftung insgesamt das ökologisch bessere Ergebnis liefert.

Aus der Sicht der Forstwissenschaft wird daher geforscht, wie die Forstwirtschaft sich an die Veränderungen wie Wassermangel und Klimawandel anpassen kann. Dazu gehören eher Ökologisch orientierte Konzepte wie die Bepflanzung mit Mischwald und die Vermeidung von Kahlschlägen. Aber auch die Verwendung von Gebietsfremden Nutz-Pflanzen wie die Douglasie. Auch hat der Einsatz von Pestiziden im Wald in den letzten Jahren zugenommen. Dadurch kommt die Forstwirtschaft weiter weg von einem Ökosystem-Ansatz und wird ähnlicher dem Anbau von Getreide auf einem Acker.

Gegen die Ökologisch orientierten Waldschützer werden zum Teil diffamierende Vorwürfe erhoben:

Trotzdem werden da Mythen aufgebaut, die die Forstwirtschaft bewusst in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Quacksalberei.

taz: Forstwissenschaftler Jürgen Bauhus über Wälder

Andererseits: Naturschützer und Ökosystemwissenschaftler

Während „Forstwissenschaftler“ tendenziell an Fragen der nachhaltigen Holzgewinnung forschen, erforschen Biologen tendenziell Fragen der Funktion von Ökosystemen. Und hier zeigt sich, dass auch nachhaltige Forstwirtschaft nicht alle ökologischen Bedürfnisse befriedigen kann.

Großflächige Wildnisgebiete, in denen natürliche Prozesse frei von direkten menschlichen Eingriffen ungestört und ungeplant stattfinden können, existieren in Deutschland heute praktisch nicht mehr. Aus naturschutzfachlicher Sicht sind diese Prozesse jedoch von großer Bedeutung für die Erhaltung vieler Arten und Lebensräume

SRU: Mehr Raum für Wildnis in Deutschland

Daneben wird von vielen Naturschutzinteressierten scharfe Kritik an der konkreten Ausführung der Arbeit von Forstfachbetrieben geäußert. Gerade auch an Hessen Forst. Beispiel:

Der Hessen-Wald als Holzfabrik: Hessen holzt kräftig ab. Der Landesbetrieb Hessen-Forst verfolgt dabei das Ziel, preiswertes Holz auf den Markt zu bringen. Das kritisiert die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Die Forst-Gewerkschaft wirft dem Landesbetrieb Hessen-Forst vor, den Staatswald dabei „primär durch die Wirtschaftsbrille zu betrachten und aus ihm jeden ,grünen Euro’ herauszuholen, den die Staatskasse verlangt“.

https://www.fnp.de/lokales/kreis-gross-gerau/ruesselsheim-ort29367/hessen-forst-immer-mehr-kommunen-wechseln-dienstleister-10401633.html

Während Bestseller-Autoren wie der Förster Peter Wohlleben populäre Bücher schreiben, die die Forstwirtschaft scharf kritisieren aber keinem wissenschaftlichen Anspruch genügen und somit leicht als „Quacksalberei“ zu kritisieren sind, gibt es auch wissenschaftlich renommierte Stimmen wie den Forstwissenschaftler Pierre Ibisch, die wenige Scharf, aber im Grunde doch ähnliche Positionen vertreten.

Nach 200 Jahren derartig betriebener Forstwirtschaft sind 90 Prozent der Wälder in Deutschland in einem schlechten oder miserablen ökologischen Zustand, hat der ökologische Waldzustandsbericht ergeben.

taz: It’s the ecology, stupid!

So hat nun der NABU eine Petition „Waldwende Jetzt“ initiiert,mit weitreichenden Forderungen wie:

3. Moratorium für wirtschaftliche Holznutzung bis zur Umsetzung von Punkt 2

NABU: Petition Waldwende jetzt https://nabu-seeheim.de/petition-waldwende-in-hessen/

Wenn man allerdings die Befürworter dieser Sicht fragt, wo das Holz herkommen wird, das aufgrund derartiger Maßnahmen nicht mehr in Deutschland hergestellt werden würde, dann erhält man nur ausweichende Antworten, der Holzbedarf müsse eben gesenkt werden. So wird in dem Buch „Der Holzweg“ mit 463 Seiten (Natürlich aus Holz, ca. 1,1 kg schwer) auf 463 Seiten Fachtexten zur Forstwirtschaft die Frage, wie viel Holz sich auf eine solchermaßen ökologische Weise gewinnen ließe, komplett ignoriert.

Und das in einer Zeit, in der Klimawissenschaftler auffordern, wir müssten mehr mit Nachhaltigem Holz bauen. Man darf also vermuten, dass auch dies eine einseitige Sicht der Sachverhalte ist in einer Situation, in der es keine „Perfekten“ Lösungen der Umweltkrise mehr gibt.

Ökosystemwissenschaftler wie Pierre Ibisch zeigen, dass ein nicht durch Holzbewirtschaftung belastetes Ökosystem resilienter gegen Belastungen wie Klimawandel und Ähnliches ist. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass bei zunehmendem Klimawandel wirtschaftlich nicht genutzte Ökosysteme mit ihrer Artenvielfalt länger erhalten als Forste. Jedoch werden auch diese Systeme irgendwann kippen, wenn der Klimawandel ihre Belastungsfähigkeit überschreitet. Ein Unbewältigter Klimawandel würde dies in jedem Falle tun.

Versuch einer Synthese

Da sich die Positionen so fundamental unversöhnlich gegenüberstehen, möchte ich hier den Versuch einer Synthese unternehmen:

  • Durch die Absenkung des Grundwasserspiegels und den Klimawandel mit höheren Temperaturen und mehr Dürren wird die bisherige Forstwirtschaft bis über die Belastungsgrenze belastet. Daher müssen die Erntemengen an Holz der reduzierten Belastbarkeit der Ökosysteme angepasst werden.
  • Die Umstrukturierung der Hessischen Forstämter zu einer Ertragsorientierten Firma Hessen Forst mit weniger Personal hat auch zu unerwünschten Folgen geführt und sollte daher angepasst werden.
  • Auf Holz verzichten kann unsere Gesellschaft aber in nachhaltiger Weise nicht.
  • Daher wird sich die Forstwirtschaft an die Anforderungen des Klimawandels anpassen, auch wenn diese Anpassungen weniger den Bedürfnissen einer Ökologischen Naturnutzung entsprechen wird.
  • Zur Kompensation werden große Naturschutzgebiete notwendig, in der unsere heimische Flora und Fauna eine Überlebenschance hat, solange Klimawandel, Dürre usw. in einem mäßigen Rahmen bleiben. Die bisher angestrebten 10% Naturschutzgebiete sind dafür deutlich zu wenig, 30% der Staatswaldfächen = 15% der Waldflächen erscheinen wünschenswert.
  • Es werden Maßnahmen zum bewussten Umgang mit Holz notwendig. Die Verbrennung von Holz als Erstnutzung ist nicht wünschenswert. Vielmehr sollte Holz kaskadiert zunächst für höchstwertige Zwecke wie Baumaßnehmen genutzt werden, dann für mittlere Zwecke wie Möbel und Papier und erst zuletzt zur Verbrennung.
  • Solange nachhaltig gewonnenes Holz aus Deutschland mit per Raubbau gewonnenem Holz auf internationalen Märkten konkurriert, können wir nicht erwarten, dass Holz die Wertschätzung als Rohstoff erhält, die es verdient.

Siehe auch:

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